Veröffentlicht am Mai 11, 2024

Entgegen der Annahme, Sport sei nur Freizeitbeschäftigung, agiert er in der Schweiz als soziokultureller „Spiegel-Motor“: Er konserviert traditionelle Werte und treibt gleichzeitig den sozialen und wirtschaftlichen Wandel voran.

  • Sportvereine sind als „Werte-Inkubatoren“ oft effektiver in der Vermittlung von Fairness und Teamgeist als rein theoretischer Unterricht.
  • Die Spannung zwischen traditionellem Vereinssport und globaler Kommerzialisierung formt die soziale und wirtschaftliche Landschaft der Schweiz massgeblich.

Recommandation: Betrachten Sie das Engagement im lokalen Sportverein nicht als blosses Hobby, sondern als aktive Teilnahme an der Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

In einer Welt, die zunehmend von digitalen Interaktionen und globalen Trends geprägt ist, scheint der Sport oft ein simpler, fast archaischer Anker zu sein. Ob beim Sonntagsspiel des lokalen Fussballclubs, beim Mitfiebern mit Roger Federer oder beim jährlichen Schwingfest – die Emotionen, die Sport in der Schweiz auslöst, sind unmittelbar und tiefgreifend. Viele sehen darin eine gesunde Freizeitbeschäftigung oder eine Form der Unterhaltung. Man spricht von der Förderung der Gesundheit, von Teamgeist und von der verbindenden Kraft des gemeinsamen Erlebens. Diese Beobachtungen sind zwar korrekt, kratzen aber nur an der Oberfläche eines weitaus komplexeren Phänomens.

Die gängige Meinung reduziert den Sport oft auf seine sichtbaren Effekte: Fitness, Spass, Wettkampf. Doch was, wenn die wahre Kraft des Sports nicht in dem liegt, was er ist, sondern in dem, was er tut? Was, wenn wir den Sport nicht als isolierte Aktivität, sondern als einen zentralen „Spiegel-Motor“ der Gesellschaft verstehen? Ein Motor, der die bestehenden sozialen Strukturen nicht nur reflektiert, sondern sie aktiv antreibt, verändert und manchmal sogar in Frage stellt. In der Schweiz, einem Land der direkten Demokratie, des Föderalismus und einer starken Vereinskultur, ist diese Dynamik besonders ausgeprägt und aufschlussreich.

Dieser Artikel taucht tief in die soziologische Maschinerie des Schweizer Sports ein. Wir werden analysieren, wie er über alle Grenzen hinweg vereint, warum er als „Werte-Inkubator“ für Kinder unersetzlich ist und wie er im Spannungsfeld zwischen Tradition und Kommerz unsere Identität formt. Es ist eine Untersuchung der Frage, ob der Sport die Gesellschaft nur abbildet oder ob er sie nicht vielmehr aktiv gestaltet. Machen Sie sich bereit, den Sport nicht nur als Spiel, sondern als eine der fundamentalsten gesellschaftsformenden Kräfte der Schweiz zu entdecken.

Dieser Beitrag beleuchtet die vielschichtigen Facetten des Sports als gesellschaftliches Phänomen. Der folgende Sommaire gibt Ihnen einen Überblick über die zentralen Themen, die wir untersuchen werden, um seine prägende Rolle in der Schweiz zu verstehen.

Warum vereint Sport Menschen über alle Grenzen hinweg wie kein anderes Phänomen?

Die universelle Sprache des Sports liegt in seinen klaren, unmissverständlichen Regeln. Herkunft, Sprache oder sozialer Status verlieren an Bedeutung, sobald das Spiel beginnt. In diesem definierten Raum zählt nur die Leistung im Hier und Jetzt. Diese Eigenschaft macht den Sport zu einem ausserordentlich wirksamen sozialen Schmiermittel, insbesondere in einer multikulturellen Gesellschaft wie der Schweiz. Er schafft eine Plattform für Begegnungen, die im Alltag sonst kaum stattfinden würden. Im Verein, auf dem Spielfeld, entsteht eine temporäre Gemeinschaft, die auf einem gemeinsamen Ziel basiert – sei es der Sieg, die Verbesserung der eigenen Fähigkeiten oder einfach die Freude an der Bewegung.

Diese integrative Kraft ist keine blosse Theorie, sondern lässt sich empirisch belegen. In der Schweiz spielen Sportvereine eine Schlüsselrolle bei der Integration. Laut Daten des Zürcher Kantonalverbands für Sport haben 44% der Sportvereine mehr als 10% Mitglieder mit Migrationshintergrund. Dies zeigt, dass Vereine de facto zu den wichtigsten Orten gelebter Integration gehören. Hier werden nicht nur Pässe gespielt, sondern auch soziale Kontakte geknüpft, die Landessprache geübt und kulturelle Barrieren abgebaut.

Eine Studie zur Integration in Schweizer Fussballvereinen bestätigt diesen Mechanismus. Viele Vereine reagierten auf die Fluchtbewegungen seit 2015 aus einer moralischen Überzeugung heraus und schufen unkomplizierte Fussballangebote. Diese Initiativen, oft von einzelnen engagierten Vorstandsmitgliedern getragen, dienen als erste Anlaufstelle und schaffen eine niedrigschwellige Form der Teilhabe. Der Sport agiert hier als Türöffner, der den Weg in weiterführende soziale und strukturelle Integrationsmassnahmen ebnet. Er ist die erste gemeinsame Basis, auf der Vertrauen und Zugehörigkeit wachsen können.

Wie Sie durch Sportvereine Ihren Kindern Lebenswerte besser vermitteln als in der Schule?

Während die Schule primär Wissen vermittelt, bietet der Sportverein einen einzigartigen Erfahrungsraum, in dem Werte nicht gelehrt, sondern gelebt werden. In diesem „Werte-Inkubator“ werden abstrakte Konzepte wie Fairness, Respekt, Teamgeist und Durchhaltevermögen zu konkreten, emotionalen Erlebnissen. Ein Kind lernt nicht durch einen Vortrag, was es heisst, für einen Fehler des Teamkollegen einzustehen, sondern indem es dies auf dem Spielfeld tut. Es erfährt die Bedeutung von Regeln nicht durch das Auswendiglernen von Paragrafen, sondern durch den Pfiff des Schiedsrichters und die unmittelbare Konsequenz für das eigene Team.

Diese Form des Lernens ist tiefgreifender, weil sie an direkte Emotionen und soziale Interaktionen gekoppelt ist. Der Umgang mit Sieg und Niederlage, das Akzeptieren von Autorität (dem Trainer oder Schiedsrichter gegenüber) und die Notwendigkeit, sich für ein gemeinsames Ziel unterzuordnen, sind Lektionen fürs Leben, die in keinem Lehrplan in dieser Intensität abgebildet werden können. Der Sportverein wird so zu einer ergänzenden, aber fundamentalen Erziehungsinstanz, die soziale Kompetenzen auf eine Weise schult, wie es das schulische Umfeld allein kaum vermag.

Diese gesellschaftliche Bedeutung wird auch von höchsten Instanzen im Schweizer Sport anerkannt. Wie Swiss Olympic, der Dachverband des Schweizer Sports, treffend formuliert:

Sport fördert, fordert, formt und verbindet Menschen, unabhängig von Alter, Herkunft und Einkommen. Deshalb ist Sport so wertvoll – für jeden Einzelnen ebenso wie für die Gesellschaft.

– Swiss Olympic, WERTvolle Sportanlagen Initiative

Diese Aussage unterstreicht, dass der Wert des Sports weit über das Physische hinausgeht. Der Verein ist eine Schule des Lebens, in der die Grundlagen für ein funktionierendes soziales Miteinander spielerisch und doch nachhaltig gelegt werden.

Spiegelt Sport Gesellschaft oder formt er sie: Was kam zuerst?

Die Frage, ob der Sport ein Spiegel der Gesellschaft ist oder sie aktiv formt, ist vergleichbar mit dem Henne-Ei-Problem. Die Antwort lautet: Er ist beides. Er ist ein „Spiegel-Motor“ – er reflektiert existierende gesellschaftliche Werte, Konflikte und Strukturen und wirkt gleichzeitig als Katalysator, der diese verstärkt, verändert oder sogar neue schafft. Nirgendwo wird diese Dualität in der Schweiz deutlicher als im Kontrast zwischen traditionellen Sportarten und dem modernen, globalisierten Profisport.

Kontrastbild zwischen traditionellem Schwingen in einer Sägemehl-Arena und moderner Fussball Super League in einem Stadion

Wie die Gegenüberstellung zeigt, koexistieren zwei Welten: Auf der einen Seite das Schwingen, ein Sport, der tief in ländlichen Traditionen, regionaler Identität und Werten wie Bodenständigkeit und Respekt verwurzelt ist. Er spiegelt ein Idealbild der Schweiz wider. Auf der anderen Seite der Profifussball, ein globales Milliardengeschäft, das von internationalen Sponsoren, Medienrechten und globalen Spieler-Transfers geprägt ist. Er spiegelt die moderne, vernetzte und kommerzialisierte Schweiz wider. Beide sind Teil der Schweizer Sportrealität und beeinflussen die Gesellschaft auf unterschiedliche Weise.

Gleichzeitig ist der Sport nicht nur ein passiver Spiegel, sondern ein aktiver Gestalter der wirtschaftlichen Realität. Die Annahme, Sport sei nur eine Ausgabe für die öffentliche Hand und private Haushalte, ist längst überholt. Im Gegenteil, er ist ein bedeutender Wirtschaftsmotor. Eine von der Hochschule Luzern im Auftrag des Bundesamts für Sport (BASPO) durchgeführte Berechnung ergab, dass der Sport in der Schweiz einen Gesamtumsatz von 22,2 Milliarden Franken und eine Bruttowertschöpfung von 11,4 Milliarden Franken jährlich generiert. Diese Zahlen belegen, dass der Sport Arbeitsplätze schafft, Konsum anregt und ganze Branchen – vom Tourismus bis zum Mediensektor – massgeblich prägt. Er formt somit aktiv die ökonomische Struktur des Landes.

Warum entfremdet übermäßige Kommerzialisierung Fans vom Sport?

Die fortschreitende Kommerzialisierung im Profisport führt zu einem wachsenden „Kommerz-Dilemma“, das eine Kluft zwischen dem Sport und seiner ursprünglichen Basis, den Fans, schafft. Während die wirtschaftliche Professionalisierung notwendig ist, um auf internationalem Niveau wettbewerbsfähig zu sein, führt sie oft zu Entwicklungen, die der lokalen und emotionalen Fan-Bindung entgegenwirken. Die Entfremdung entsteht, wenn der Fan das Gefühl bekommt, vom passionierten Teilhaber zum reinen Konsumenten degradiert zu werden, dessen Hauptfunktion darin besteht, Einnahmen zu generieren.

Dieses Dilemma manifestiert sich in verschiedenen Aspekten des modernen Sports, die im starken Kontrast zum traditionellen, gemeinschaftsbasierten Vereinssport stehen. Der folgende Vergleich verdeutlicht die zentralen Unterschiede und zeigt auf, wo die Reibungspunkte für viele Fans liegen.

Gegenüberstellung: Tradition und Kommerz im Sport
Aspekt Traditioneller Vereinssport Kommerzialisierter Profisport
Finanzierung Mitgliedsbeiträge, lokale Sponsoren TV-Rechte, internationale Sponsoren
Ticketpreise Familienfreundlich Premium-Segment dominant
Stadionnamen Traditionelle lokale Bezeichnungen Naming Rights an Konzerne
Fan-Bindung Generationsübergreifend, lokal verwurzelt Event-Charakter, internationale Fans

Die Tabelle, basierend auf Analysen wie jenen des Observatoriums Sport und Bewegung Schweiz, zeigt eine klare Verschiebung. Explodierende Ticketpreise schliessen Familien und Geringverdiener aus. Die Vergabe von Stadionnamen an Grosskonzerne kappt die historische Verbindung zu einem Ort. Und die Fokussierung auf globale TV-Märkte führt zu Anstosszeiten, die für den lokalen Fan im Stadion unpraktisch sind. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass die emotionale Identifikation mit dem Verein erodiert und durch eine konsumorientierte Event-Kultur ersetzt wird, die für viele langjährige Anhänger befremdlich wirkt.

Wann ist Sport echte Sozialtherapie und wann „Opium fürs Volk“?

Die gesellschaftliche Wirkung von Sport ist zutiefst ambivalent. Einerseits kann er als „Sozialtherapie“ wirken: Er bietet benachteiligten Jugendlichen eine Perspektive, fördert die Gesundheit, baut Aggressionen ab und stärkt den sozialen Zusammenhalt. Andererseits kann er zum „Opium fürs Volk“ verkommen: eine reine Ablenkungsmaschinerie, die von tieferliegenden gesellschaftlichen Problemen wie sozialer Ungleichheit oder politischer Apathie ablenkt. Grosse Sportereignisse können nationale Einheit simulieren, während die Gesellschaft an anderer Stelle auseinanderdriftet.

Der entscheidende Faktor, der die Waage in die eine oder andere Richtung neigen lässt, ist die bewusste Gestaltung der Rahmenbedingungen. Sport wird dann zur echten Sozialtherapie, wenn er nicht sich selbst überlassen wird, sondern durch gezielte Programme und ethische Leitplanken in seiner positiven Wirkung gestärkt wird. Es braucht Akteure, die über den reinen Wettkampf hinausdenken und die soziale Verantwortung des Sports aktiv wahrnehmen.

Fallbeispiel: Das System «Wertvoller Schweizer Sport»

Ein herausragendes Beispiel für die bewusste Steuerung des Sports in der Schweiz ist die Initiative von Swiss Olympic und dem Bundesamt für Sport (BASPO). Das System «Wertvoller Schweizer Sport» zielt darauf ab, Ethikverstösse und Missstände präventiv zu bekämpfen. Der Fokus liegt darauf, alle Beteiligten – von Trainern über Funktionäre bis zu den Athleten – für ethische Fragen zu sensibilisieren. Es geht darum, eine Kultur zu schaffen, in der die Würde des Menschen im Mittelpunkt steht und potenzielle Risiken frühzeitig erkannt und minimiert werden. Solche Initiativen, die auch die professionelle Fanarbeit zur Gewaltprävention umfassen, sind der konkrete Versuch, den Sport als konstruktive soziale Kraft zu nutzen und ihn vor der Instrumentalisierung als reine Ablenkung zu schützen.

Wenn der Sport also in ein System von Prävention, Bildung und sozialer Arbeit eingebettet ist, wie es die Projekte zur Ethik im Sport anstreben, maximiert er sein Potenzial als positive gesellschaftliche Kraft. Bleibt er hingegen ein unreflektiertes Spektakel, das nur auf Sieg und Profit ausgerichtet ist, läuft er Gefahr, zu einem flüchtigen Rauschmittel zu werden, das keine nachhaltigen Lösungen für reale Probleme bietet.

Warum haben 70% der CEOs in ihrer Jugend Mannschaftssport betrieben?

Die oft zitierte, wenn auch nicht exakt belegte Zahl, dass ein Grossteil der Führungskräfte eine Vergangenheit im Mannschaftssport hat, verweist auf eine tiefere Wahrheit: Die im Sport erlernten Fähigkeiten sind in hohem Masse auf die Berufswelt übertragbar. Es geht dabei nicht um die körperliche Fitness, sondern um überlebenswichtige Soft Skills, die im harten, aber fairen Umfeld des Sports trainiert werden: Resilienz, strategisches Denken und vor allem Team- und Führungsfähigkeit. Wer gelernt hat, nach einer Niederlage wieder aufzustehen, eine Taktik an neue Gegebenheiten anzupassen und unterschiedliche Charaktere zu einem funktionierenden Team zu formen, hat einen entscheidenden Vorsprung im Management.

Diese Korrelation wird durch Daten untermauert. Eine europaweite Studie mit 2.500 Unternehmerinnen und Unternehmern zeigte, dass 61% der Unternehmen mit sportlichen Führungskräften überdurchschnittlich wuchsen, verglichen mit 41% im Durchschnitt. Der Sport scheint eine Art Praxislabor für effektive Führung zu sein, lange bevor der erste Management-Kurs besucht wird.

Eine Gruppe von Menschen in Sportkleidung bespricht bei Sonnenaufgang auf einem Schweizer Sportplatz mit Bergpanorama im Hintergrund eine Strategie.

Wolfgang Jenewein, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen und renommierter Leadership-Coach, bringt die Parallele auf den Punkt, indem er eine unbequeme Wahrheit ausspricht:

Teams und Organisationen sind per Definition dysfunktional. Egal ob im Sport oder in der Wirtschaft. Nur versteht man das im Sport besser: Jeder Spieler bringt sein Ego, seine eigenen Ambitionen, Verletzungen und Ziele mit, die oft nicht mit denen der Mannschaft übereinstimmen.

– Wolfgang Jenewein, Professor an der Universität St. Gallen

Genau hier liegt die Lektion: Im Sport lernt man, diese Dysfunktionalität nicht zu ignorieren, sondern aktiv zu managen. Man lernt, die Egos für ein höheres Ziel in den Hintergrund zu rücken und aus einer Gruppe von Individuen ein schlagkräftiges Kollektiv zu schmieden. Diese Fähigkeit ist die Essenz von Führung – und der Sport ist eines ihrer besten Trainingsfelder.

Warum verstehen Kinder Fairness im Sport besser als in 100 moralischen Gesprächen?

Moralische Konzepte sind für Kinder oft abstrakt und schwer greifbar. Eine Predigt über Fairness mag gut gemeint sein, verhallt aber oft ohne nachhaltige Wirkung. Im Sport hingegen wird Fairness zu einer unmittelbaren, körperlichen und sozialen Erfahrung. Ein Foul führt zu einem Freistoss für den Gegner. Unsportliches Verhalten wird mit einer gelben Karte oder den Pfiffen der Zuschauer bestraft. Die Regeln sind für alle gleich, und ihre Einhaltung wird von einer neutralen Autorität, dem Schiedsrichter, überwacht. Dieses System bietet eine direkte und unmissverständliche Feedback-Schleife, die Kinder intuitiv verstehen.

In diesem Mikrokosmos lernt ein Kind, dass Handlungen Konsequenzen haben – nicht irgendwann in der Zukunft, sondern sofort. Es lernt, dass Regeln nicht willkürlich sind, sondern ein faires Miteinander erst ermöglichen. Es lernt auch, mit gefühlten Ungerechtigkeiten umzugehen, etwa wenn eine Schiedsrichterentscheidung als falsch empfunden wird. Diese Auseinandersetzung ist eine wertvolle Lektion in Rechtsstaatlichkeit und dem Akzeptieren von Entscheidungen, auch wenn man nicht mit ihnen einverstanden ist.

Fallbeispiel: Credit Suisse Cup

Der Credit Suisse Cup, die offizielle Schweizer Meisterschaft im Schulfussball, ist ein Paradebeispiel für diese praktische Wertevermittlung im grossen Stil. Jedes Jahr nehmen Zehntausende Kinder aus allen sozialen Schichten und mit unterschiedlichstem kulturellem Hintergrund daran teil. Auf dem Platz gelten für alle die exakt gleichen Regeln. Das Konzept der Gleichheit vor dem Gesetz wird hier nicht erklärt, sondern massenhaft praktiziert und erlebt. Wie Swiss Olympic hervorhebt, bietet ein solcher Wettbewerb ein einzigartiges Lernfeld, in dem faires Verhalten durch direktes soziales Feedback von Mitspielern, Gegnern und Betreuern unmittelbar verstärkt wird.

Der Sportplatz wird so zu einem Labor für soziale Kompetenz. Die dort gemachten Erfahrungen prägen das Verständnis von Richtig und Falsch, von Geben und Nehmen, von Individualität und Gemeinschaft auf eine Weise, die kein moralischer Appell allein je erreichen könnte. Die Lektionen sind im Körper und in der Emotion verankert und damit besonders nachhaltig.

Das Wichtigste in Kürze

  • Sport ist in der Schweiz ein „Spiegel-Motor“: Er reflektiert gesellschaftliche Zustände und treibt gleichzeitig den Wandel voran.
  • Vereine fungieren als „Werte-Inkubatoren“, in denen soziale Kompetenzen wie Fairness und Teamgeist durch direkte Erfahrung vermittelt werden.
  • Die Spannung zwischen traditioneller Vereinskultur und globaler Kommerzialisierung ist ein zentrales Merkmal, das die soziale und wirtschaftliche Realität der Schweiz prägt.

Wie Sie durch Sport Ihren Kindern Werte vermitteln die ein Leben lang tragen?

Die nachhaltigste Wertevermittlung durch Sport geschieht nicht in kurzen Projekten, sondern durch eine langfristige Einbindung in die einzigartige Schweizer Vereinskultur. Das Fundament dieser Kultur ist das Ehrenamts-Rückgrat – Tausende von freiwilligen Trainern, Funktionären und Helfern, die Woche für Woche ihre Zeit investieren. In diesem Umfeld lernen Kinder nicht nur die Werte des Sports, sondern auch den Wert des bürgerschaftlichen Engagements. Sie sehen, dass Gemeinschaft etwas ist, das aktiv gestaltet werden muss.

Die besondere Stärke des Schweizer Systems liegt in seiner Langlebigkeit. Wie Studien von Swiss Olympic zeigen, dauert die Mitgliedschaft in einem Verein oft ein Leben lang. Ein Kind tritt als Junior bei, wird zum aktiven Spieler, engagiert sich später vielleicht als Trainer oder Schiedsrichter, übernimmt Verantwortung im Vorstand und bleibt dem Verein als Veteran oder Ehrenmitglied verbunden. Jede dieser Phasen ist mit der Vermittlung spezifischer Werte und Kompetenzen verbunden.

Die folgende Übersicht illustriert, wie der Verein über verschiedene Lebensphasen hinweg als kontinuierlicher Werte-Inkubator fungiert:

Lebensphasen und Wertevermittlung im Schweizer Vereinssport
Lebensphase Rolle im Verein Vermittelte Werte
Kindheit (6-12 Jahre) Junior-Mitglied Teamgeist, Regeln, Fairness
Jugend (13-18 Jahre) Aktiver Spieler Leistungsbereitschaft, Durchhaltevermögen
Junges Erwachsenenalter Trainer, Schiedsrichter Verantwortung, Führung
Mittleres Alter Vorstandsmitglied Ehrenamt, Gemeinschaftsdienst
Seniorenalter Veteran, Ehrenmitglied Tradition, Weitergabe von Erfahrung

Für Eltern bedeutet dies, dass die Wahl des richtigen Vereins eine wichtige Entscheidung ist. Es geht nicht nur um die sportliche Qualität, sondern auch um die Kultur und die Werte, die im Verein gelebt werden. Die folgende Checkliste kann Ihnen dabei helfen, das Potenzial eines Vereins als „Werte-Inkubator“ zu beurteilen.

Ihr Praxis-Check: Den richtigen Verein für Ihr Kind finden

  1. Werte-Kultur beobachten: Wie gehen Trainer, Eltern und Kinder am Spielfeldrand miteinander um? Herrscht eine unterstützende oder eine überkritische Atmosphäre?
  2. Rolle des Ehrenamts prüfen: Gibt es im Verein sichtbare Möglichkeiten für Engagement über das Spielen hinaus (z.B. Mithilfe bei Anlässen, Junioren-Coaching)?
  3. Umgang mit Konflikten erfragen: Fragen Sie den Trainer, wie mit Unfairness im Team oder Konflikten zwischen Kindern umgegangen wird. Gibt es klare Prozesse?
  4. Fokus analysieren: Liegt der Schwerpunkt ausschliesslich auf Leistung und Sieg, oder werden auch soziale Entwicklung und Spass am Spiel betont?
  5. Langzeit-Perspektive bewerten: Gibt es im Verein aktive Veteranen- oder Senioren-Abteilungen? Dies ist oft ein Zeichen für eine starke, generationenübergreifende Bindung.

Die bewusste Auseinandersetzung mit diesen Aspekten ermöglicht es, den Sport als nachhaltiges Werkzeug zur Charakterbildung zu nutzen und die Werte zu verankern, die ein Leben lang tragen.

Indem Sie Ihr Kind in einem Verein mit einer starken, positiven Kultur verankern, schenken Sie ihm also weit mehr als nur sportliche Betätigung. Sie geben ihm Zugang zu einem sozialen Netzwerk und einem Lernfeld, das seine Entwicklung zu einer verantwortungsbewussten und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit entscheidend prägen wird. Der wahre Wert des Sports entfaltet sich somit im Zusammenspiel von aktivem Erleben, sozialer Einbettung und langfristigem Engagement – ein unschätzbarer Beitrag für das Individuum und die Gesellschaft als Ganzes.

Fragen fréquentes sur die Rolle des Sports in der Gesellschaft

Geschrieben von Dr. Sarah Brunner, Dr. Sarah Brunner ist diplomierte Sportpsychologin FSP seit 14 Jahren, spezialisiert auf Wettkampfvorbereitung und mentale Resilienz. Sie promovierte an der Universität Bern über Druckbewältigung bei Leistungssportlern und betreut derzeit als leitende Psychologin am Schweizer Olympischen Trainingszentrum in Magglingen nationale Kaderathleten aus verschiedenen Disziplinen.